Mariams Farben
Mariams Farben
Seitenzahl: 240 Seiten, Hardcover
Preis: 19,90 €
Verlag: Horlemann Verlag
Beschreibung
Mariam und ihre Schwester Yeran wollen schon als Kinder immer nur malen. Sie sind begabt, in Armenien gibt es keine Hochschule, die sie fördern könnte, deshalb sollen sie in Moskau Malerei studieren. Da ihr Vater aber ein wohlhabender Müller ist, wird nicht nur der Familienbesitz konfisziert. Die Familie gilt auch als Klassenfeind. Deshalb ist es für die Schwestern fast unmöglich zu studieren. Ganze dreizehn Mal wird Mariam von der Hochschule geworfen. Erst durch die Unterstützung von Lenins Witwe kann sie studieren. Trotz vieler Hindernisse wird Mariam eine sowjetische Vorzeigekünstlerin.
Mariams Farben beschreibt ihren lebenslangen Spagat zwischen der eigenen Freiheit und der Vereinnahmung durch das System.
Leseprobe
Die nächsten Stunden vergehen wie in Trance. Meine Hand, die den Pinsel hält, bewegt sich wie von allein vom Wasserglas zur Palette mit den Farben, zur Staffelei und wieder zurück. Mein Mund, der Aufgaben über Farbenlehre, Perspektiven und Kompositionen sagt, spricht, ohne dass ich ihn beeinflussen kann. Ich weiß anschließend nicht mehr, was ich gemalt und gesagt habe. Ich weiß nur, irgendwann ist die Zeit um und ich tauche aus meiner Trance auf. Mein Haarknoten ist aufgelöst, meine Wangen glühen, Farbspritzer sind auf meinem Kleid zu erkennen, ich japse nach Luft, als hätte ich die letzten Stunden vergessen zu atmen.
„Ab 16 Uhr hängt der Name aus, wer aus Gruppe fünf zum Studium zugelassen wird“, sagt einer der Männer, die vorhin die Fragen gestellt haben. Erst jetzt kapierte ich: Wir bewerben uns alle um einen Platz. Yeran und ich sind wieder Konkurrentinnen.
„Wie lief es bei dir, Mariam?“, fragt meine Schwester und streicht mir fürsorglich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Ich zucke mit den Schultern. Was hätte ich auch antworten sollen? Stattdessen schlage ich vor: „Lass uns einen Tee trinken.“
Schon um Drei stehen wir vor dem Schwarzen Brett, genauso wie die meisten Prüflinge. Trotzdem ist es still. Angespannte Stille. Diese Stunde vergeht so unendlich langsam, sie läuft fast über vor Zeit. Drei Minuten nach Vier kommt einer der Professoren den langen Korridor entlang. Seine Gummisohlen quietschen auf dem Steinboden. Er hält ein Blatt Papier in der Hand.“
„Wer ist es? Wer hat den Platz bekommen?“ Ein junger Mann mit dunkelblonden Haaren, Sommersprossen und einem Oberlippenbart hält es nicht mehr aus. Wir alle halten es nicht mehr aus.
Zwei, drei Meter vor uns bleibt der Professor abrupt stehen, schaut auf das Blatt, schaut dann zu uns, schaut wieder aufs Papier und liest langsam: „As-la-maz-yan, Mariam Aslamazyan wird die neue Studentin bei uns sein.“