Böblinger Zeitung

Wenn Gruppenzwang zum Glimmstengel führt

Iris Lemanczyk las vor Siebtklässlern über Süchte  

 

Böblingen – Süchte sind nicht nur Hasch und Heroin. Schon Rauchen, Süßigkeiten oder hemmungsloser Fernsehkonsum können Momente zwanghaften Verhaltens zeigen. Dafür hat jetzt Kinderbuch-Autorin Iris Lemanczyk bei einer Lesung Siebtklässler des Albert-Einstein-Gymnasiums sensibilisiert.

 

Von Siegfried Dannecker
Gespannt und gebannt hörten sie in der Aula des AEG der 36-jährigen Stuttgarterin zu. Wie sie von Lukas las, dem Wasserball-Fan, der zu einer Clique gehören will. Doch vor die Zugehörigkeit hat die Gruppe eine Mutprobe gesetzt: das Rauchen. So verlässt Lukas dann zwar das „Milchschnittenalter“. Dafür geht ihm beim Sport die Puste aus. Wochen dauert es, bis der Junge kapiert, dass die Kippen ihn kaputtmachen. Doch schließlich fasst er den Mut, den Kumpanen zu eröffnen, dass er nicht weiter qualmen will. Und doch akzeptiert bei seinen Freunden. Ein Schritt, den Lukas nicht bereuen muss. Er wird – beinahe wider Erwarten – angenommen, wie er ist.

 

Iris Lemanczyk, frühere Zeitungsredakteurin, hat in ihrem Buch „Ich bin doch nicht blöd“ me樂威壯
hrere solche Geschichten verarbeitet. Wahre Begebenheiten. Lukas gibt es ebenso wie (Friede)Rike, die nach der Scheidung der Eltern den Vater so vermisst und sich schubladenweise mit Süßigkeiten einen Schutzpanzer anfrisst, der Hänseleien und Leid in sich birgt. Kummerspeck.

 

Wie die Autorin schildert, was in kindlichen Köpfen vorgeht und wie Sehnsüchte Süchte erzeugen können – das zeugt von großer Sensibilität. Obgleich sie selber keine Kinder hat, hat die Schriftstellerin aus Gesprächen mit (Mit-)Betroffenen und Beratungsstellen viele Zwangsmomente herausdestilliert, die zu Suchtverhalten führen. Zu Süchten, wie sie auch Max kennt – mit der Fernbedienung am Fernsehgerät.

 

Lemanczyk reist weit herum mit diesen und anderen Episoden. Lehrer laden sie besonders gerne ein, denn: „Die Lehrer sagen, wenn Dritte von außen das Thema aufbringen, wirkt das glaubwürdiger.“ Die Autorin ist schließlich unvorbelastet. Und erzeugt Vorfreude bei den Schülerinnen und Schülern, für die dann mal der althergebrachte Unterricht ausfällt.

 

Ins AEG gekommen ist die 36-Jährige über den Arbeitskreis Sucht- und Gewaltprävention. Zu ihm zählen zehn (zumeist) Frauen und Eltern, die ein schwieriges Terrain nicht einfach bei den Lehrern belassen wollen. Klar, dass Iris Lemanczyk mit ihrer Zuhörerschaft auch diskutiert. Darüber, ab wann man abhängig ist von etwas – und wie verschieden das manche empfinden. Der eine sieht die Sucht bei fünf Zigaretten, der andere lässt 20 durchgehen. Zigaretten und Fernsehen sind den meisten Siebtklässlern als Suchtmittel eh nicht so recht bewusst. Das reihen sie eher „unter Hobbys ein.“ Doch Cliquenverhalten und Gruppenzwänge unter Gleichaltrigen sind ihnen wohl bewusst. Vielleicht geben sie ihnen seit der Lesung aber weniger nach. Denn die „Helden“ der Kinderbuch-Autorin bewältigen ihre Krisen allesamt. Indem sie Charakterstärke zeigen. Und mit dem Wider-den-Strom-Schwimmen sogar Erfolg haben.

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